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   Sigmund Freud vom Es gezeichnet. Norbert W. Hinterberger


Aus: Nolte, Tobias/ Rugenstein, Kai/ (hrsg.), 365 x Freud. Ein Lesebuch für jeden Tag, Stuttgart 2022, Seite 13. Dezember.

 

 

„Er behandelt gegenwärtig seine Kranken, indem

er sie ohne andersartige Beeinflussung eine

bequeme Rückenlage auf einem Ruhebett ein-

nehmen läßt, während er selbst, ihrem Anblick

entzogen, auf einem Stuhle hinter ihnen sitzt.“

(GW V, S. 4f.)

 

 

 

 

 

Thron-Therapie

 


Throne sind Zeichen der Spiritualität und Macht. Mit ihnen geben sich archaische Gemeinschaften eine politische und religiöse Mitte.

 

Wer thront, herrscht. Das ist nur einem einzigen erlaubt und möglich. Wer thront, ist König, Schamane, Weiser. Doch er setzt sich nicht freiwillig, sondern wird erwählt und gesetzt.

 

Der Thronende wird in seiner Sitzhaltung festgehalten, um ihn zu spiritualisieren. In der Sitzhaltung wird er nicht entlastet, sondern seiner Beweglichkeit beraubt und diszipliniert. Er kann seine Lebensenergie nur abbauen, nicht, indem er ausschreitet, sondern einschreitet – hinein in sich, in eine innere Landschaft, an der er baut. Wie der Pharao bei seiner Inthronisierung: Auf einem langen Prozessionsweg geleiten ihn Hofstaat und Volk mit Tanz und Musik, unter Jubelgeschrei und Lobeshymnen, während er auf schwankender Sänfte unbewegt sitzt, wie versteinert mit gekreuzten Armen über der Brust, als Zeichen seiner inneren Herrschaft, in den Händen die Insignien seiner Macht – Zepter und Geißel.

 

Der Thronende nimmt Kreislauf und Verdauung wahr, wird sich Gefühlen und Gedanken bewusst und kann von Schmerzen und Kummer geplagt werden.

 

Während die Mitglieder der Gemeinschaft alltäglichen Dingen nachgehen, ist er mit sich beschäftigt, mit seiner Introspektion - seiner Verinnerlichung, Vergeistigung, Kultivierung. Daher sind thronende Herrscher nicht nur in archaischer Zeit Priester und Heiler. Sie sind die ersten Intellektuellen der Weltgeschichte. Da sie versuchen, Kranken, Bedrückten und Trauernden zu helfen, indem sie mit ihnen praktizieren, was sie in der Introspektion erkannt haben, sind sie als Heilkundige und Pfleger auch die ersten Therapeuten der Weltgeschichte.

 

Als Sitzender hinter seinen Analysanden ist der Psychoanalytiker Zuhörer. Kein Beobachter. Unbewegt wie der Pharao lauscht er den Worten. Notizblock und Stift in den Händen anstelle von Zepter und Geißel. Konzentriert und notierend auf der Suche nach der inneren Struktur. In dem Setting kommt den Analysanden in der Rückenlage – wie dem altägyptischen Volk – der müßige Part zu.

 



 

Vorlesen am 20. April 2023, 18 Uhr, International Psychoanalytic University Berlin (IPU), Stromstraße 1, 10555 Berlin

 

 




© Hajo Eickhoff 2022

 


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