aus: Schönheit rettet die Welt, Mieke Teunen (Hrsg.), Wiesbaden 2024
Die Schönheit der Möbel
1. Möbel richten ein, Schönheit zieht an
2. Schönheit
3. Möbel
4. Das Haus – die Immobilie
5. Tische – Orte von Opfer und Ordnung
6. Betten – Orte des Liegens
7. Stühle – Orte des Sitzens
8. Schränke – Orte von Erinnerung und Bewahrung
9. Gegenwart der Möbel – Ordnung und Schönheit
1. Möbel richten ein, Schönheit zieht an
Alles kann schön sein. Gesichter, Landschaften und Gebrauchsgegenstände, Gedanken, Handlungen und der Sternenhimmel, oder Kleidung und die Wohnwelt. Schönheit kennt keine Grenzen. Denn sie dient von Anbeginn an dem Leben und Überleben. Dazu gehören Symmetrie und Rhythmus, Farben, Bewegungsformen und Düfte.
Schönheit bedeutet Ordnung. Güte, Anmut und Wahrheit. Etwa eine gute Form, ein gediegenes Material, ein großartiger Gedanke, ein Kunstwerk oder eine überraschende Funktion. Sie können genügen, um den Menschen zu verwandeln und sein Denken und Handeln zu beflügeln und zu ordnen.
Lebewesen streben nach Ordnung. Denn sie brauchen Raum. Eine Umwelt. Die sie zwangsläufig gestalten müssen. Sie bauen Nester, bewohnen Höhlen, Stöcke und Baue, oder entwickeln Häuser wie die Schnecke. Solche territorialen Räume sind begrenzt. Sie sind geordnet und dienen dem Schutz und der Orientierung. Jede Tierart hat ihre spezifische Umwelt, die sie gestaltet und an die sie optimal angepasst ist.
Möbel gehören zur Umwelt des Menschen. Doch seine erste Umwelt ist das Weltall – das große Haus. Bis Menschen aus dem All ein Raumstück herausschneiden und es mit einer Haut überziehen, den Wänden des Hauses. Mit dem Haus beginnt die Produktion von Gegenständen wie Werkzeuge, Gebrauchsgüter und Möbel. Als Gegenstände der Nähe und der Vertrautheit richten Möbel Menschen in ihre persönliche, gesellschaftliche und kosmische Welt ein.
2. Schönheit
Schönheit ist Attraktion. Ist Anziehung und Verführung. Schönheit berührt. Nichts, was Menschen mehr beeindruckt als Schönheit. Sie wirkt anregend über die Sinne auf das Denken und Fühlen. Angeregt vom Schönen werden Menschen in ihrem Innern – ihrem Wesen – bewegt.
Dass Schönheit Attraktion bedeutet, wissen die Menschen zu allen Zeiten. Sie schmücken und verzieren sich, machen sich schön. Heute ist bekannt, dass beim Wahrnehmen von Schönem Hormone aktiviert werden, die gemeinsam mit Erfahrung und Wissen ein wohltuendes Empfinden hervorrufen. Glückshormone, mit denen sich positive Empfindungen wie Freude, Freiheit, Kreativität und Gelassenheit einstellen.
Was als schön gilt, unterscheidet sich von Kultur zu Kultur. Aber es unterscheidet sich ebenso innerhalb einer Kultur. Es gilt als Sache des persönlichen Geschmacks. Was die Schönheit eines Menschen betrifft, zeigt sich, dass individuelle Merkmale wie ein symmetrisches Gesicht, weiße Zähne, dichtes Haar, reine Haut und ein freundliches Verhalten in nahezu allen Kulturen als schön gelten.
Doch zuerst orientieren sich Tiere an dem, was Menschen als schön empfingen. Ein glänzendes oder farbenfrohes Gefieder, die Biegsamkeit beim Balztanz sowie der Gesang der Vogelmännchen, oder die Kraft und das Ebenmaß des Geweihs der Hirsche sind bei den Weibchen begehrt.
Gut an die Natur angepasste Lebewesen überleben am ehesten, sagt Darwin, der neben dieser natürlichen Selektion im Begehren nach besonderen Merkmalen eine sexuelle Selektion benannt hat: Schön sind die Männchen. Sie werden von den Weibchen erwählt. Die Schönheit der Männchen macht sie weithin sicht- und hörbar und bringt vielerlei Handicaps mit sich wie die langen Federn der Pfauen, die großen, hinderlichen Geweihe der Hirsche oder der verlockende Gesang der Vogelmännchen. Wer das überlebt, muss gesund und stark sein und gute Gene haben und gilt als geeigneter Partner.
Lebewesen brauchen zu ihrer Reproduktion Eiweiß – zum Wachsen und zum Ersetzen verbrauchter Substanzen. Da die Oberfläche wie Federn, Horn, Haar und Haut aus Eiweiß besteht, sind Dichte und Glanz der äußeren Hülle das Zeichen eines guten Eiweißdepots und daher einer guten Gesundheit. Und das ist es, was die Weibchen erkennen. Sie schauen durch die Oberfläche hindurch auf etwas für sie Wesentliches: Auf die Gesundheit der Männchen, damit die Nachkommen gute Lebenschancen bekommen.
In der Tierwelt bedeutet Schönheit Gesundheit. Es sind die Weibchen, die die Männchen durch Auswahl züchten, indem diese immer neuen Fertigkeiten angeregt werden, ob im Gesang, im Aussehen, in der Tanzfertigkeit oder in der Kraft: Hinkende Löwen, kraftlose Hirsche werden nie ein Rudel anführen, und schlecht singende Vogelmännchen nur selten von Weibchen erhört. Was ihnen fehlt ist das, was Menschen Schönheit nennen.
Doch es scheint, als ob bei Tieren Extravaganz und besondere Qualitäten – also Schönheit – ausreicht, ein Begehren auszulösen, ohne dass es der Fortpflanzung dient.
Bei Menschen bilden das Schöne Geschlecht die Frauen. Sie sind es, die sich schmücken und schöner machen. Männer müssen nicht stark, schön, muskelbepackt sein, sondern fürsorglich, da die Kinder gemeinsam und lange zu versorgen sind. Männer sollen zuverlässige Partner sein. Die sekundären Geschlechtsmerkmale der Frauen sind volle Lippen, bleibende Brüste, eine breite Hüfte – die nichts zu einer verbesserten Schwangerschaft beitragen. Die Frau soll gesund und jugendlich wirken, der Mann zuverlässig sein.
3. Möbel
Als äußere Gegenstände spiegeln Möbel die innere Ordnung des Menschen und seiner Gesellschaft wider. Da sie Ausdruck innerer Ordnungen sind, kommt ihrer Schönheit eine besondere Bedeutung zu. Denn es geht um die innere Schönheit des Menschen, wenn wir über die Schönheit der Möbel sprechen. Möbel haben eine innere Schönheit, die von der Bedeutung ihrer Verwendung abhängt, während ihre äußere Schönheit von ihrer Gestaltung und vom verwendeten Material abhängt.
Möbel sind die beweglichen Elemente der räumlichen Existenz des Menschen. In der modernen Welt sind sie alltägliche Gegenstände, die die Umwelt des Menschen bilden. Ihre Qualität, Funktion und ihr Maß an Schönheit üben einen enormen Einfluss auf das moderne Leben aus.
Sie sind Variationen der Horizontalen. Ihr räumliches Prinzip ist ihre waagerechte, durch ein Gestell vom Boden angehobene Ebene: das Bild des erhöhten und geglätteten Erdbodens. Die Waagerechte trägt entweder Menschen oder Gegenstände. Ihr geistiges Prinzip ist das Anheben des Erdbodens auf eine kulturelle Ebene.
Möbel sind wie unsere Haut. Sie bilden unsere Grenze, indem sie Funktionen verlängerter Arme und Beine übernehmen, mit denen sie unsere Natur zu vervollkommnen scheinen. Dabei entwickeln sie typische menschliche Eigenschaften wie Halten, Stützen oder Bewegen. Darin liegt ihr Sinn. Sie sind Elemente sesshafter Menschen. Weil sie für das Leben eine grundlegende Bedeutung haben, wird für ihre ästhetischen und qualitativen Elemente ein großer Aufwand betrieben.
Möbel sind Elemente der Kulturentwicklung. In ihrer Evolution sind sie in ihrem Stil, ihrer Funktion und ihren Materialien ganz an die jeweilige Kultur angepasst. In der Wandlung ihrer Form sind die vier Ebenen Tischplatte, Sitzbrett, Bettrost und Schrankbrett entstanden und ihre Materialien reichen von Holz und Eisen über Gold und Elfenbein hin zu Plastik und Papier.
Die Menschen haben vier Möbel erfunden. Tisch, Stuhl, Bett und Schrank. Im Grunde aber handelt es sie nur um ein Möbel – um den Tisch. Seine Form gliedert sich vierfach und bringt durch unterschiedliche Größe, Höhe und Gestalt der Waagerechten die vier Möbel hervor, mit Tischplatte, Sitzbrett, Bettrost und Schrankbrett.
Griechen kannte alle vier Möbel: Truhen, dreibeinige Beistelltische, Klinen und Esstische. Das Mittelalter kannte nur die Truhe zur Aufbewahrung von Hausgeräten, Klöster nutzten schrankartige Gestelle für Bücher. Der Name Möbel bezieht sich auf das Mitführen von Stühlen, Thronen, Betten, Tischen und Schränken, wenn mittelalterliche Hofgesellschaften von Residenz zu Residenz zogen: Unbewohnte Schlösser waren möbellos. In der Neuzeit entsteht der Stuhl aus dem Thron, der Schrank aus der Truhe und der Tisch aus der Tafel. Später differenzieren Manufakturen die Tätigkeiten der Menschen und die dem Tun angepassten Möbel, bis die Industrie sie zu High-Tech-Produkten macht und Wohnungen, Fahrzeuge, Theater, Schulen und Büros mit ihnen vollstellt: Der Mensch wird Möbelwesen, denn Möbel richten ihn ein in seine Existenz.
Schrank und Tisch bringen Ordnung und Hierarchie in das Arsenal der Gegenstände; Bett und Stuhl bringen Ordnung und Hierarchie in das Innere Arsenal des Menschen.
Bis heute wurden Möbel für jede Funktionsänderung differenziert, wodurch es wichtig geworden ist, sie von Fachleuten wie Handwerkern und Designern, von Ingenieuren, Künstlern und Architekten gestalten zu lassen. Gut gestaltete Möbel sollen Psyche und Physis stützen.
4. Das Haus – die Immobilie
Häuser sind Orte von Macht, Besitz und Schutz. Durch sie gewinnen Menschen die Möglichkeit, anzuhalten, die Umgebung zu ordnen und von da aus weiter das Gelände, die Welt, zu erobern. Häuser sind kulturelle Machtzentren Zentren einer Gemeinschaft.
Die Immobilie, das Haus, geht der Mobilie voraus, das bewegliche Element der räumlichen Existenz des Menschen. Das Haus, unbeweglich und immobil ist ein gravierender Einschnitt in die Existenz der Menschen und gibt ihnen die erste konstante Umwelt.
Das Haus entsteht mit der Sesshaftwerdung der Sammler und Jäger, indem sie ihre langen Wege verkürzen, Pflanzen, Tiere und Landschaft domestizieren und von der menschlichen Kultur ein erstes Großzeichen geben: das Haus. Domestikation kommt von Domus – Haus – und bedeutet Häuslichmachung, Anpassung an ein Leben im Haus.
Sesshafte wachsen so eng mit Möbeln auf, dass verborgen bleibt, dass sie Empfinden, Denken und Verhalten beeinflussen. Betten gingen unmittelbar aus der geheiligten Erde hervor, Tisch und Stuhl aus dem bereits erhöhten Opferstein und Schränke aus Bildern des Kosmos.
Häuser verändern den Menschen radikal und arbeiten die im Anhalten und Niederlassen gewonnene Energie für die Form neuer Tätigkeiten um. Diese Energie strukturiert die Muskulatur neu, modifiziert Lage und Maß der inneren Organe, reduziert das Atemvolumen und gibt den Sinnesorganen eine neue Gliederung, wodurch das Empfinden, Denken und Verhalten grundlegend umgestaltet wird. Die langen Wege des Außen werden zum häuslichen Wohnen umgearbeitet. Um in kargen Zeiten Vorräte zu haben, muss der Mensch lernen, Bedürfnisse aufzuschieben und Verzicht zu leisten. Im Schutz des Hauses ändert sich das soziale Verhalten. Die Menschen bilden ein enges Verhältnis zueinander aus. Waren Kinder und Schwangere auf den Wanderungen durch Großwild gefährdet, gewannen Frauen im gehegten Umfeld das erste Mal Sicherheit und konnten sich den Kindern widmen. Häuser machen Menschen zu einem neuen Wesen, zum Sesshaften, der sich im Haus gegen den Himmel verschließt.
5. Tische – Orte von Opfer und Ordnung
Tische sind offene Orte zur Aufnahme von Objekten. Orte der Aktivität, des Handelns und Ordnung Schaffens. An Tischen können Menschen im Sitzen und im Stehen unterschiedlichste Tätigkeiten ausüben.
Der Tisch beginnt als Altar – altus ara, erhöhter (altus) Tisch (ara). An Altaren wurden rituelle Handlungen durchgeführt, etwa das Töten eines Menschen auf einem Opferstein zur Besänftigung der Götter. Es galt, die kosmische Ordnung der Götter zu wahren. Mit der Idee, anstelle des Menschen ein Tier zu opfern, wandelte sich der Stein in einen Altar und einen Thron. Auf dem Altar wurde zukünftig ein Tier geopfert und getötet, auf dem Thron der Mensch, der allerdings nicht mehr getötet wurde.
An Tischen wird gegessen, gearbeitet und gespielt, Distanz gehalten und Ordnung geschaffen. Auf ihnen sollen Objekte geordnet abgelegt werden.
Tische sind Manifestationen besonderer Funktionen der menschlichen Hand. Entstanden als Geste der Vergrößerung der Handflächen und des Anhebens haltender Hände vom Boden auf ein erhöhtes Niveau. Grundformen des Tisches sind Steine, Altare, Felle oder Baumstämme.
Tisch heißt griechisch diskos (von dikein, werfen), wie die runde Wurfscheibe. Tische waren damals rund. In der griechischen Götterwelt und der Welt des Adels sind dreibeinige Tische – Dreifüße – heilige Gegenstände, die man verschenkt oder um die man sportlich kämpft. Die Wahrsagerin von Delphi saß orakelnd auf einem Dreifuß, auf dem auch die Utensilien während des Speisens (Symposion) ruhten, bei dem Assyrer, Griechen und Römer lagen.
Auch die frühen Christen lagen während des gemeinsamen, abendlichen Mahls. Die Ältesten unterbrachen immer wieder das Speisen, um aus der Bibel vorzulesen und Brot und Wein zu segnen. Mit der Festigung dieses Kultes gewannen sie an Macht und separierten sich von der Gemeinde. Sie verlegten das abendliche Mahl auf den Sonntagmorgen und machten den Tisch zum Altar und das abendliche Mahl zum Abendmahl. Aus der Gemeinsamkeit von Gemeinde und Ältesten entwickelte sich eine Opposition, aus der das christliche Kirchengebäude hervorging, dessen kultische Mitte der Altar wurde, das Zentrum der Christenheit.
Das Mittelalter kennt keine festgefügten Tische. Nur die Tafel, eine Holzplatte auf zwei Böcken, die nach dem Essen wieder abgebaut, aufgehoben wird. Mit dem Aufstieg des Bürgertums wird der Tisch zur Mitte der bürgerlichen Wohnlichkeit.
Es gab vier festgefügte Tischtypen: Wangen-, Bock-, Zargen- und Säulentisch. Ihre Produktion beginnt im sechzehnten Jahrhundert. Beim Wangentisch sind zwei aufrechtstehende Bretter – zusammengehalten durch ein Brett in standfester Breite –, beim Bocktisch zwei Böcke und beim Säulentisch eine mittige Säule fest mit der Tischplatte verbunden. Die höchste Vollkommenheit erlangt der Zargentisch. Er erlaubte eine Vielfalt des Tisches, da die Zarge – das Mittelglied zwischen Platte und Unterbau – eine hohe Standfestigkeit erreicht.
Schultische fordern von Schülern ein hohes Maß an Disziplin. Das Schreiben bedarf der widerstehenden Fläche des Tisches und der Kulturhaltung des fixierten Sitzens, um Empfindungen und Gedanken mit der Hand in die Fläche zu übertragen.
Infolge der bürgerlichen Arbeit und des wirtschaftlichen Wachstums werden neue Werkzeuge erfunden, entstehen neue Methoden, neue Berufe etabliert, der Arbeit angemessene Räume gestaltet und der Schriftverkehr erhöht. Das ruft nach neuen Auf- und Ablageflächen. So entstehen Werkbänke und Bürotische, in deren Folge die gegenwärtigen Tische der Büroarbeit und Werksarbeit entwickelt werden.
Mit der Einführung der Rationalisierung der Arbeit werden auch die Tische einer Analyse unterzogen, um die Greifräume zu ermitteln und die Bewegungsabläufe zu optimieren. Dabei wird die Fläche des Tisches in unterschiedlicher Greifbereiche gegliedert, um die Zugriffe auf die Unterschiedlichen Flächen zu erfassen, woraus eine Vielfalt an Tischen entsteht. Allerdings hat sich herausgestellt, das die Kontrolle der Bewegung nicht optimal ist, weil Menschen auf Bewegung angelegt sind.
6. Betten – Orte des Liegens
Betten sind Orte des Streckens. Des Loslassens und des Schlafes. Eine Position Eine Opposition zum aktiven Stehen, an dem vielfältigste Programme des Gehirns, Muskeln und Organe beteiligt sind. Im Liegen werden diese Programme heruntergefahren oder ausgeschaltet. Muskeln entspannen, Kreislauf und Herz werden nur wenig belastet, Denken und Fühlen sollen zur Ruhe kommen. Behaglichkeit stellt sich ein, vorausgesetzt, Liegen und Schlafen finden in einem geschützten Raum statt. Betten sind Orte der Regeneration, weil das Liegen Füße und Kopf, Rumpf und Beine, Herz und Gehirn entlastet und weil Träume helfen, Erfahrungen des Tages zu verarbeiten.
Das gebaute Bett beginnt mit der Sesshaftwerdung und dem Hausbau. Der Mensch wird im Bett geboren. Hier wächst er heran bis er beginnt, sich aufzurichten. Später entspannt und erholt er sich hier, liebt und stirbt er. Im Bett verbringen Menschen etwa ein Drittel ihres Lebens. Ins Bett hinein fällt er in Passivität und in Träume, aus dem Bett heraus erhebt er sich in die Aktivität.
Bett und Beet stammen von stechen und graben ab und meinen eine in den Boden eingelassene Lagerstatt.
Germanen schliefen auf einem mit Fellen und Stroh gepolsterten Grund. Die Chinesen im Norden Chinas verbrachten während der Winterperiode Tag und Nacht auf einem geheizten Steinpodest. Japaner schliefen zwischen einer Unterdecke – dem shiki-futon – und einer Überdecke – dem kake-futon. Auf dem tatami, auf dem in der kalten Jahreszeit ein Holzkohlebecken stand, um das sich die Familie strahlenförmig legte, mit den Füßen zur Feuerstelle. Erste luxuriöse Betten standen in den Schlafgemächern sumerischer Königspaläste. Der König schlief im Bett, während Bedienstete, Kinder und die Königin auf Kissen oder dem Boden ruhten. Vornehme Griechen und Römer schliefen in niederen Betten. Zum Schlafen behielten Römer die Kleidung an, die sie am Tag trugen und warfen nur die Toga über. Eine Frage der Geschwindigkeit: Kaiser Vespasian rühmte sich, dass er ohne Hilfe von Dienern innerhalb von dreißig Sekunden nach dem Aufwachen die Staatsgeschäfte beginnen könne. Das Mittelalter erfand das Bettenmachen: Stroh, in einen Sack aus festem Tuch gestopft, wird aus hygienischen Gründen am folgenden Tag wieder herausgenommen, um Wanzen, Mäuse und Ratten zu entfernen. Nördlich der Alpen kennen die Europäer das Bettgestell – das Architectile – erst seit dem späten Mittelalter. In der Neuzeit kann das Bett auch Stuhl und Thron sein. Ludwig XIV. war vom Aufwachen bis zum Einschlafen vom Hofadel umgeben. Von seinem Bett aus regierte er auch. Sein Bett war Thron.
7. Stühle – Orte des Sitzens
Stühle sind Orte der Beruhigung. In der Sitzhaltung erlernen Menschen in sich hineinzuhorchen und ihre inneren Regungen wahrzunehmen. Hier sollen sie die Fähigkeit erwerben, innezuhalten, sich auf geistige Operationen zu konzentrieren und Gefühle kontrollieren zu können.
Stühle leiten sich aus dem Thron ab. Ursprünglich durfte nur einer sitzen (thronen): König, Kaiser, Häuptling oder Papst. Sie wurden auf den Thron gesetzt, damit sie geistige Oberhäupter werden konnten.
Sitzen ist das mit dem Gesäß auf einer unterschenkelhohen waagerechten Ebene Ruhen in einer zweimal rechtwinklig abgeknickten Position.
Throne sind die Erfindung eines für den Menschen nicht tödlichen Vertrages mit den kosmischen Mächten, die den Tod vom Menschen auf das Tier übertrugen und die den Opferstein in den Altar (Opfertisch) und den Thron (Opferstuhl) trennten. Der Altar wird das Gestell für das zu opfernde Tier, der Thron für den zu opfernden Menschen, dessen Opfer in seiner physischen Unbewegtheit liegt.
Dem Bild vom Beginn der Sesshaftwerdung – dem Haus – haben die Menschen ein Bild von der Vollendung der Sesshaftwerdung gegenüberstellt – ein auf einem Gestell thronendes Wesen. Ausgewählt, gewaltsam gesetzt, mit Macht ausgestattet und König genannt, der in sich ruhen und in sich spirituelle Räume ausbilden soll, um mit dem Immateriellen, dem Göttlichen in Kontakt zu treten. Seine leibliche Ruhe und spirituelle Kraft sollen die Belange der Untertanen ordnen, denen er Mitte und Lebenssinn ist.
Obwohl die Griechen Sitze wie Klismos, Hedra und Tronos kannten, saßen sie nur zu besonderen Anlässen. Ebenso die Römer: Die Lehrer hatten oft einen Stuhl zur Repräsentation – nicht zum Sitzen; Senatoren konnten mit dem Bisellium, einem Doppelsitz, geehrt werden, auf dem sie für eine Zeit allein sitzen durften.
Das alltägliche Sitzen auf Stühlen ist eine Erfindung Europas, entstanden im Rahmen des Christentums. Päpste und Bischöfe übernahmen die Herrschergeste der Könige. Danach saßen Priester, seit dem elften Jahrhundert während der Lesungen auch Mönche. In Chorstühlen. Am Ende erstritten die zu ökonomischer Macht und politischem Einfluss gelangten Bürger den Regierungsherren und Zunftvorstehern das Stuhlrecht. Diese Chorstühlen gleichenden Sitze waren im Abendland die ersten Stühle. Profanstühle, weihelose Sitze.
Der weitere Verlauf des Sitzens liegt zwischen den historischen Einschnitten Reformation und Französische Revolution. Das Bürgertum imitiert die Throngeste weltlicher und klerikaler Herrscher und der Profanstuhl gelangt nach der Reformation in die Häuser des Adels und der bürgerlichen Oberschicht sowie in die aufkommenden Kontore der Kaufleute. In einem dreihundert Jahre währenden Kampf demokratisiert es den Thron zum Stuhl, der in die untersten Schichten dringt, bis die Französische Revolution das Sitzprivileg aufhebt und jedem das Stuhlrecht gibt.
Von den vier Möbeln schneidet der Stuhl am tiefsten in den Leib. Die Sitzhaltung verspannt die Skelettmuskeln und vermindert die Atmung. Da reduziertes Atmen die Muskeln verspannt und verspannte Muskeln das Atmen einschränken, entsteht ein Kreislauf von Muskelverfestigungen und Atemreduktionen, der auf einem geringen Energieniveau, in einer geringen Beweglichkeit des Leibes und in der Fähigkeit, Gefühle zu kontrollieren, zur Ruhe kommt – dem Zustand der Sedierung. Der Stuhl bildet die rationale, bürgerliche Lebensweise aus.
Schüler lernen, sich auf das Verfolgen von Gedanken zu konzentrieren, ohne sich von störenden Sinnesreizen ablenken zu lassen, bis sich die Begrenzung des leiblichen Bewegungsdrangs zu einem geistigen Freiheitsdrang weitet, und sie fähig sind, in einem abstrakten Stoff logisch zu operieren.
Der Esstisch gewordene Altar hat sich in viele unterschiedliche Tische spezialisiert. Am Ende ist der Tisch wieder Acker. Ein moderner Acker, der mit dem Stuhl die Basis moderner Arbeitsplätze bildet. Die geistigen Kräfte, die der Sitzende auf dem Stuhl erwirbt, kann er am Tisch direkt zur Wirkung bringen. Das Sitzen am Tisch ist eine gewaltige Produktivkraft, die Europa geistigen und materiellen Reichtum gebracht und es auf eine hohe Kulturstufe emporgehoben hat.
Dem wachsenden Bedürfnis nach erschwinglichen Stühlen entspricht die Bugholz-Technik von Michael Thonet, dessen 1860 entwickelter Stuhl im darauffolgenden Jahrzehnt vier Millionen Mal als Bote eines neuen Menschentyps, des Sitzmenschen in alle Welt versandt wurde. Eine zweite Eroberungswelle folgt Ende des zwanzigsten Jahrhunderts mit einem Gartenstuhl aus Plastik, der in wenigen Jahren milliardenfach produziert und verkauft wird. Auf ihn trifft man in Wüsten ebenso wie in Hochgebirgen, in Schneegebieten ebenso wie im Urwald. Dennoch besitzt bisher nur eine Hälfte der Menschheit Stühle. In Sitzgesellschaften dagegen verfügt jeder einzelne potenziell über etwa drei bis vier Dutzend Sitze. Die Etablierung des Stuhls ist die Vollendung der Sesshaftwerdung im Abendland.
8. Schränke – Orte von Erinnerung und Bewahrung
Schränke sind dunkle Orte. Nur bedingt zugänglich sin sie verschlossene Gestelle zum Aufbewahren von Gegenständen. Geheime und rätselhafte Orte, die die Fantasie des Menschen anregen. Erfahrungen mit dem Schrank beziehen sich auf Dunkles, Eingeschlossenes, Verschlüsseltes. Das Geheimnis zu entschlüsseln, spornt das Entdecken, Erfinden und Streben nach Wissen an. Die Verschließbarkeit ist ein wesentliches Element von Schränken und vermittelt Gefühle für Schutz, Geheimnis und Geborgenheit.
Historisch entwickelt sich der Schrank aus der Truhe, etymologisch leitet er sich von schräg und verschränken her und bedeutet die Herstellung geflochtener Wände aus leichtem Astwerk. Ägypter, Assyrer und Griechen kennen die Truhe, die Römer haben den Schrank erfunden. Nischen und Kammern in Hausinnenwänden werden oft als Aufbewahrungsort genutzt.
In ihrer Dinglichkeit und Materialität werden Schränke zum sachlichen Hintergrund der Lagerung. Sie sind Depots, Ablagen, Archive. Der Mensch verwahrt in Schränken wertvolle Dinge: Haushaltsgerät, Reliquien Bücher. Aufgrund der Erfindung von Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen und Geräten spezialisiert das Abendland den Schrank: Haushaltsgeräte werden im Küchenschrank aufgehoben, Werkzeug im Kasten, gespeicherte Daten in der Registratur, Bücher auf dem Regal, Geld und Wertsachen im Safe, Lebensmittel im Kühlschrank.
9. Gegenwart der Möbel – Ordnung und Schönheit
Möbel weisen Dingen und Menschen Räume persönliche und kulturelle Sphären zu und legen dem Lebensraum Haus ein Ordnungssystem auf, welches Haus und Gemeinschaft Sicherheit und Stabilität gibt.
Sie ordnen aber auch den Menschen selbst. Sie entwickeln Kultur, indem sie Körperhaltungen erzwingen, Ordnung in das Fühlen, Denken und Verhalten des Menschen bringen, ihn von der Natur distanzieren und seine Selbstreflexionsfähigkeit fördern. Möbel sind es, die den geistigen und materiellen Hintergrund sesshafter Kulturen bestimmen.
Auf dem Möbel ist der Mensch über unterschiedliche Netze mit jedem Punkt der Erde verbunden. Die Festplatte des Computers ist ein moderner Schrank, der Arbeitsspeicher ein moderner Tisch, ein motorengesteuerter Bürostuhl, der den Rücken des Benutzers abtastet, die verhärteten Partien entspannt, ihn setzt oder legt, ein moderner Sitz und ein Bett zugleich. Die Verdichtung des Aufenthalts und der Arbeit auf engstem Raum macht Möbel zu Orten höchster leiblicher Immobilität bei höchster virtueller Beweglichkeit. Als Anpassung an die moderne Existenz vermenschlichen die Möbel, und der Mensch nimmt die Haltung des Möbels an, mobil und beweglich, aber angehalten und festgesetzt.
Als der Mensch begann, Naturstoff in Gegenstände zu überführen, bewahrte er darin etwas Universelles: die Mutter Erde. Darin liegt die Originalität und die Qualität der Möbel. Noch heute ist das gute Möbel – wie alle guten Produkte – mit seiner hohen materialen, funktionalen und ästhetischen Güte das Geweihte, das Balance schafft zwischen Natur und Kultur, zwischen Naturstoff und Gegenstand, zwischen Erdboden und Möbel.
Schöne Ideen beruhigen, regen an, verzaubern und machen nachdenklich. Sie überraschen und bereiten Freude, stimmen zuversichtlich durch ihre ordnende Kraft und geben Verantwortung. Eine solche Idee stammt von Meng Tse, einem Schüler des Kungfu Tse. Er hatte eine Idee, die ohne zu moralisieren, dennoch ein Ausdruck höchster Verantwortung ist: „Es ist möglich, als großer Mensch zu handeln.“
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