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aus: Frauke Schlitz, Tische, Freiburg 2005


 

Die Kultur des Tisches


Kunst-Tisch

 

 

 

 

Der Tisch ist eine horizontale, durch ein Gestell vom Boden abgehobene Ebene, an der man essen, arbeiten, spielen und Distanz halten und auf der man etwas ablegen kann.


Tische sind Manifestationen besonderer Funktionen der menschlichen Hand. Entstanden als Geste der Vergrößerung der Handflächen und des Anhebens haltender Hände vom Boden auf ein erhöhtes Niveau. Urformen des Tisches sind Felle, Baumstämme, Steine.

Tisch heißt griechisch diskos (von dikein, werfen), wie die runde Wurfscheibe. Tische waren damals rund. In der griechischen Götterwelt und der Welt des Adels sind dreibeinige Tische - Dreifüße - heilige Gegenstände, die man verschenkt oder um die man sportlich kämpft. Die Wahrsagerin von Delphi saß orakelnd auf einem Dreifuß, auf dem auch die Utensilien während des Symposions ruhten, bei dem Assyrer, Griechen und Römer lagen.


Auch die frühen Christen lagen während des gemeinsamen, abendlichen Mahls. Die Ältesten unterbrachen immer wieder das Speisen, um aus der Bibel vorzulesen und Brot und Wein zu segnen. Mit der Festigung dieses Kultes gewannen sie an Macht und separierten sich von der Gemeinde. Sie verlegten das abendliche Mahl auf den Sonntagmorgen und machten den Tisch zum Altar und das abendliche Mahl zum Abendmahl. Aus der Gemeinsamkeit von Gemeinde und Ältesten entwickelte sich eine Opposition, aus der das christliche Kirchengebäude hervorging, dessen kultische Mitte der Altar wurde, das Zentrum der Christenheit.

Festgefügte Tische kennt das Mittelalter nicht. Nur die Tafel, eine Holzplatte auf zwei Böcken, die nach dem Essen wieder abgebaut, aufgehoben wird. Mit dem Aufstieg des Bürgertums wird der Tisch zur Mitte der bürgerlichen Wohnlichkeit.


Früher gab es vier fest gefügte Tischtypen: Wangen-, Bock-, Zargen- und Säulentisch. Ihre Produktion beginnt im sechzehnten Jahrhundert. Beim Wangentisch sind zwei aufrecht stehende Bretter – zusammengehalten durch ein Brett in standfester Breite –, beim Bocktisch zwei Böcke und beim Säulentisch eine mittige Säule fest mit der Tischplatte verbunden. Die höchste Vollkommenheit erlangt der Zargentisch. Er erlaubte eine Vielfalt des Tisches, da die Zarge – das Mittelglied zwischen Platte und Unterbau – eine hohe Standfestigkeit erreicht.


Der Schultisch fordert ein hohes Maß an Körperbeherrschung und Disziplin. Das Schreiben bedarf der widerstehenden Fläche des Tisches und der Kulturhaltung des fixierten Sitzens, um Empfindungen und Gedanken mit der Hand in die Fläche zu übertragen. Schüler lernen, sich auf das Verfolgen von Gedanken zu konzentrieren, ohne sich von störenden Sinnesreizen ablenken zu lassen, bis sich die Begrenzung des leiblichen Bewegungsdrangs zu einem geistigen Freiheitsdrang weitet, und sie fähig sind, in einem abstrakten Stoff logisch zu operieren.


Der Esstisch gewordene Altar hat sich in viele unterschiedliche Tische spezialisiert. Am Ende ist der Tisch wieder Acker. Ein moderner Acker, der mit dem Stuhl die Basis moderner Arbeitsplätze bildet. Die geistigen Kräfte, die der Sitzende auf dem Stuhl erwirbt, kann er am Tisch direkt zur Wirkung bringen. Das Sitzen am Tisch ist eine gewaltige Produktivkraft, die Europa geistigen und materiellen Reichtum gebracht und es auf eine hohe Kulturstufe emporgehoben hat.




© Hajo Eickhoff 2005

 

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